"Wenn bei dir ein Fremder in deinem Land lebt, so sollt ihr ihn nicht bedrängen."
Die Bibel (3. Mose 19,33)
Ich weiß nur zu gut, wie es sich anfühlt, wenn die Sprache, die Gewohnheiten und Denkweisen eines neuen Landes fremd erscheinen – wenn man sich am Ende des Tages allein, fremd und weit entfernt von allem fühlt, was einem vertraut ist und Sicherheit gibt. Menschen, die in ein fremdes Land aufbrechen, benötigen nicht nur Mut, sondern auch Empathie für diese neue Welt. Sie stehen vor zahlreichen Veränderungen und Herausforderungen, und es braucht Zeit – durchschnittlich sechs bis zehn Jahre –, bis man sich heimisch fühlt. Dies gelingt leider nicht jedem. Nur wenn wir alle uns an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten und aktiv daran arbeiten, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, können wir ein sicheres und solidarisches Miteinander erreichen – denn kriminelles Verhalten wird immer dieses Fundament untergraben.
Das Volk Gottes hatte lange kein festes Zuhause. Abraham verließ auf Gottes Wort hin seine Heimat und reiste durch das ganze Land Kanaan, das einst seinen Nachkommen gehören sollte. Auch seine Nachkommen – Isaak und Jakob – lebten ohne festen Anker, bis Ägypten zwangsweise ihr Zuhause wurde und Mose und Aaron sie in ein neues Land führten. Nach vierzig Jahren Wüstenwanderung musste sich Israel jeden Quadratmeter Kanaans erkämpfen, um schließlich ein Heimatland zu gewinnen, in dem sich Volk und Land vereinten. Dies war ein langer Weg, den jeder gehen muss, der alte Grenzen hinter sich lässt, seine Sicherheit aufgibt und seine Wurzeln von der alten Heimat trennt – sei es territorial oder mental.
Darum erinnert Gott sein Volk immer wieder daran, Fremde wertzuschätzen und nicht zu vergessen, dass auch wir, aus aller Welt und unterschiedlichen Völkern, unsere eigenen Wurzeln haben. Ich weiß, dass ich polnische Wurzeln habe, aber auch braunschweigische und sicherlich noch weitere, von denen ich nichts weiß.
Wir alle waren einmal Fremde. Der Fremde in unserer Gemeinschaft symbolisiert jene, die Hilfe, Verständnis und ein offenes Herz benötigen – sei es, weil sie aus einem anderen Land kommen, eine andere Sprache sprechen oder sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Unsere Aufgabe ist es, diese Menschen nicht auszuschließen, sondern ihnen den Platz zu geben, den sie verdienen. Indem wir ihnen mit offenen Armen begegnen, leben wir das Evangelium der Nächstenliebe, das Christus uns vorgelebt hat.
In einer Welt, in der oft Vorurteile und Ablehnung vorherrschen, ruft uns Gott dazu auf, einen anderen Weg zu gehen – einen Weg der Solidarität und des Miteinanders. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder Mensch – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Kultur – ein geliebtes Kind Gottes ist. Wenn wir diese Wahrheit in unserem täglichen Leben umsetzen, werden wir zu einem lebendigen Zeugnis der Liebe Gottes und tragen zu einer gerechteren, mitfühlen-deren Gemeinschaft bei.
Euer Gert Becker